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http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/17/17201.pdf#P.24410
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THEMA: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/17/17201.pdf#P.24410

http://dipbt.bundestag.de/dip2​1/btp/17/17201.pdf#P.24410 17 Nov 2012 16:30 #23363

  • Candy
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Aw: http://dipbt.bundestag.de/dip2​1/btp/17/17201.pdf#P.24410 17 Nov 2012 18:14 #23364

  • Brigitte1959
Man ich bin jetzt schon seit Tagen am versuchen diese Seite 192 zu finden kann nicht jemand einfach den Teil der für uns wichtig ist hier rein setzen ?

Wäre euch dankbar !

Aw: http://dipbt.bundestag.de/dip2​1/btp/17/17201.pdf#P.24410 17 Nov 2012 18:25 #23365

  • marianne
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sondern Zeichen 24410 da steht alles-
liebe Grüße
Marianne
24410 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(A) (C)
( (D)
Tagesordnungspunkt 23:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Lebenssituation der durch Contergan geschädigten Menschen mit einem Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetz und weiteren Maßnahmen spürbar verbessern
– Drucksache 17/11041 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen.
Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Die Lebenssituation contergangeschädigter Menschen
hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert.
Die Opfer des Conterganskandals aus den 60er-
Jahren sind heute im Durchschnitt 50 Jahre alt. Sie haben
heute ganz andere Bedarfe als noch vor 20 oder
30 Jahren. Dem müssen und dem wollen wir auch Rechnung
tragen.
In der vergangenen Legislaturperiode ist es zu einem
grundsätzlichen Umdenken in der Politik gekommen,
was die Lebenssituation dieser Menschen anbetrifft. Das
ist eine positive Entwicklung im Sinne der Betroffenen.
Mit der zweiten Änderung des Conterganstiftungsgesetzes
2008 war aber bereits klar, dass der Weg noch
lange nicht zu Ende ist. In einem gemeinsamen Antrag
haben CDU/CSU, SPD und FDP beschlossen, insbesondere
die akuten Bedarfe der Contergangeschädigten in
einer Längsschnittstudie wissenschaftlich untersuchen
zu lassen. Dieses Forschungsvorhaben war auch deshalb
so wichtig, weil wir sehen wollten, wie sich die
Erfordernisse dieser Männer und Frauen im Alltag verändert
haben, wo spezielle Bedarfe sind, wo Versorgungsdefizite.
Die Zwischenergebnisse des Gerontologischen Instituts
Heidelberg liegen uns seit Juli dieses Jahres vor. Sie
zeigen, wie dramatisch sich die Lebensqualität in Folge
von Spätschäden verschlechtert hat. Die Fehlbelastungen
des Bewegungsapparates, der Zähne, Gelenke,
Muskulatur haben dazu geführt, dass in vielen Fällen
die Ausübung des Berufes nur eingeschränkt oder gar
nicht mehr möglich ist. Und die Anzahl derer, die davon
betroffen ist, wächst zunehmend.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Assistenzbedarf
von Contergangeschädigten, der häufig von Familienangehörigen
geleistet wird. Oft geht der Assistenz- und
Pflegebedarf mit zunehmendem Alter über die gesetzlichen
Leistungen hinaus, und die Betroffenen und ihre
Familien müssen zuzahlen.
Das Ausmaß der Spät- und Folgeschäden der vorgeburtlichen
Schädigungen durch das Mittel Contergan
drängt also zum Handeln. Darüber sind sich alle Fraktionen
einig.
Das Erste und Zweite Conterganstiftungsgesetz
konnte nur ein erster Schritt sein, der aber einige Verbesserungen
gebracht hat. Ich erinnere gern an die
wichtigsten Punkte im Einzelnen: Die Conterganrenten
wurden zum 1. Juli 2008 verdoppelt, die Renten wurden
dynamisiert; deshalb gab es weitere Erhöhungen im Juli
2009, im Juli 2011 und auch im Juli 2012. Conterganrenten
werden nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet.
Seit 2009 erhalten die Opfer jährliche Sonderzahlungen
je nach Schweregrad ihrer Beeinträchtigung.
Die Ausschlussfrist zur Geltendmachung von Leistungen
wurde aufgehoben. Die Sach- und Personalkosten werden
seit 2008 vollständig aus dem Bundeshaushalt getragen,
sodass das Stiftungsvermögen der Conterganstiftung
den Opfern voll zugutekommen kann. Der
Stiftungszweck ist verändert worden, sodass ausschließlich
Projekte finanziert werden, die die Contergangeschädigten
unterstützen. Die Zusammensetzung des Stiftungsrates
wurde verändert. Zwei Posten im Stiftungsrat
werden von Vertretern aus Betroffenenverbänden besetzt.
2011 wurden Gleichgewichtsstörungen neu in die
medizinische Punktetabelle aufgenommen. Die Fraktionen
haben Parkerleichterungen beschlossen. Die Fraktion
Die Linke hat in ihrem heutigen Antrag die historische
Entwicklung des Conterganskandals sowie die
Lebenssituation der Opfer korrekt dargestellt, aber die
Forderungen sind aus unserer Sicht nicht zielführend.
Die Linksfraktion weckt hier Hoffnungen bei den Betroffenen,
die die Wirklichkeit nicht treffen. Das halten wir
nicht für seriös.
Wir wollen eine gemeinsame Lösung finden, die auf
einem Beschluss über möglichst alle Fraktionen hinweg
basiert. Die breite Einigung in der letzten Legislaturperiode
war ein gutes Zeichen, und wir werden alles daran
setzen, bei den jetzt notwendigen Beratungen wieder mit
einer starken Stimme zu sprechen.
Deshalb werden wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
dem heutigen Antrag der Linksfraktion nicht zustimmen.
Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie werden
zwar endgültig Ende dieses Jahres vorliegen, aber die
vorliegenden Handlungsempfehlungen bestätigen uns
jetzt schon, dass die Lebensqualität infolge der Schädigung
durch Contergan mit zunehmendem Alter abnimmt
und die Assistenzbedarfe immer größer werden. Die Ergebnisse
haben insbesondere gezeigt, dass die zusätzlichen
finanziellen Ausgaben für medizinische und therapeutische
Versorgung für die Betroffenen belastend sind.
Hier sehen wir Nachholbedarf, und wir freuen uns,
dass die Bundesregierung bereits angekündigt hat, uns
zu unterstützen.
Deshalb müssen in einem ersten Schritt Ergänzungen
im Gesundheitsbereich kommen. Es ist ein großes Ärgernis,
dass bestehende Verordnungsmöglichkeiten von
Heil- und Hilfsmitteln nicht im Sinne der ContergangeDeutscher
Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 24411
Thomas Jarzombek
(A) (C)
( (D)
schädigten ausgeschöpft werden. Sowohl die Conterganstiftung
als auch die Ministerien drängen seit langem
darauf, den Heilmittelkatalog so zu ändern, dass
bestimmte Rehabilitationsmaßnahmen durch die gesetzlichen
Krankenkassen abgedeckt sind. Die Ergebnisse
können uns nicht zufriedenstellen.
In einem zweiten Schritt wollen wir als Koalition uns
mit den anderen Fraktionen auf einen gemeinsamen Weg
verständigen, weitere Schritte zur Verbesserung der Lebenssituation
der Geschädigten vorzunehmen.
Ich will aber betonen, dass die Betroffenen uns in vielen
Gesprächen sehr deutlich gemacht haben, dass die
Zeit drängt; deshalb müssen wir jetzt schnell, zielgerichtet
und sachgerecht helfen. Es ist politischer Konsens,
eine Änderung noch in dieser Legislaturperiode durchzusetzen.
Die zuständigen Ministerien stehen bereits im intensiven
Kontakt, und wir werden als Fraktionen diese Arbeit
intensiv unterstützen und weiter forcieren. Es muss eine
schnelle und sachgerechte Lösung gefunden werden.
Dabei gibt es verschiedene Modelle, die uns die Möglichkeit
geben, unbürokratisch zu helfen. Das wird jetzt
geprüft.
Mit den Betroffenen selbst und den Verbänden stehen
wir als Parlamentarier in engem Kontakt. Insbesondere
sind hier auch meine Kollegin Maria Michalk, die Behindertenbeauftragte
unserer Fraktion, sowie Hubert
Hüppe, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange
behinderter Menschen, sehr engagiert. Viele von
ihnen haben bereits die Gelegenheit genutzt, im Rahmen
der Ausschusssitzungen, aber auch außerhalb mit uns zu
sprechen und uns auf ihre sich schnell verändernde Situation
aufmerksam zu machen. Das ist wichtig, um zu
einem positiven Ergebnis in den Beratungen zu kommen.
Ich bin optimistisch; dass uns das im Sinne der Betroffenen
gelingt.
Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Ende der 50er-Jahre bis Anfang der 60er-Jahre kamen
weltweit über 10 000 Kinder mit zum Teil schwersten
Fehlbildungen der äußeren Gliedmaßen sowie Schädigungen
der inneren Organe zur Welt. Ursache war die
Einnahme eines thalidomidhaltigen Medikaments – ein
Schlafmittel, in Deutschland unter dem Namen Contergan
bekannt – durch schwangere Frauen. Heute leben in
Deutschland noch etwa 2 700 Menschen mit Conterganschädigungen.
Ende 1961 erfolgte der Verkaufsstopp des Arzneimittels
in Deutschland. Die Pharmafirma Grünenthal GmbH
wurde von vielen Eltern betroffener Kinder verklagt.
1971 zahlte das Unternehmen im Rahmen eines Vergleichs
eine Entschädigungssumme von 100 Millionen
D-Mark in den deutschen Conterganfonds ein. Mit diesem
Vergleich wurde die Haftungsverpflichtung der
Firma Grünenthal GmbH abschließend geklärt. Für die
Opfer wurde im Oktober 1972 die Stiftung „Hilfswerk
für behinderte Kinder“ als öffentlich-rechtliche Stiftung
gegründet, die 2005 mit dem Conterganstiftungsgesetz
ihren heutigen Namen erhielt.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes über die Gründung der
Stiftung 1972 übernahm die Bundesrepublik Deutschland
die finanzielle Gesamtverantwortung für die Conterganrenten
in der Bundesrepublik Deutschland.
Die contergangeschädigten Menschen haben sich in
bewundernswerter Weise ihren Platz im Berufs- und Privatleben
mit großem eigenen Engagement und Selbstbewusstsein
erkämpft. Ihrer Haltung und ihrer Lebensleistung
gebühren unsere hohe Anerkennung und unser
größter Respekt.
Sie haben sehr unspektakulär und von der Öffentlichkeit
relativ unbemerkt ihr Leben gemeistert. Die überwiegende
Mehrheit der Geschädigten war und ist trotz
der Behinderung erwerbstätig.
Der Öffentlichkeit ist nicht wirklich bewusst, wie
schwer ihr tägliches Leben ist und zunehmend wird.
Schmerzhafte Spät- und Folgeschäden schränken die
Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein. Jahrzehntelange
Fehlbelastungen von Wirbelsäule, Gelenken und
Muskulatur bringen diese Spät- und Folgeschäden mit
sich. Die Lebenssituation der Betroffenen ist heute, nach
50 Jahren, zunehmend durch diese sehr schmerzhaften
Auswirkungen ihrer Behinderung geprägt; ihre Lebensqualität
ist zusätzlich erheblich eingeschränkt. Oft drohen
Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung. Das belastet
die Menschen, die sich unter größten Mühen jahrzehntelang
Unabhängigkeit erkämpft und behauptet haben,
sehr.
Für diese neuen Herausforderungen mussten Lösungen
gefunden werden. In der vergangenen 16. Legislaturperiode
haben wir fraktionsübergreifend bereits viel
erreicht. Der Bundestag fasste drei Beschlüsse zur Verbesserung
der Lebenssituation von Menschen mit Conterganschädigungen:
Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes
haben wir zum 1. Juli 2008 die Conterganrenten
verdoppelt. Der Höchstsatz lag damit 2008
bei 1 090 Euro statt wie vorher bei 545 Euro. Außerdem
haben wir geregelt, dass die Conterganrenten nicht auf
andere Zahlungen, wie zum Beispiel Erwerbsminderungsrenten,
SGB-II-Zahlungen oder Sozialgeld, angerechnet
werden.
Seit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Conterganstiftungsgesetzes am 30. Juni 2009 werden
die Conterganrenten zudem automatisch an die gesetzlichen
Renten angepasst. Dank dieser Dynamisierung
liegt die Höchstrente derzeit bei 1 152 Euro. Die
monatliche Durchschnittsrente beträgt 982 Euro.
Wir haben die Ausschlussfrist, das heißt die Frist, zu
der sich Betroffene spätestens bei der Conterganstiftung
melden müssen, um Ansprüche geltend zu machen, abgeschafft
und damit eine zentrale Forderung der Betroffenenverbände
erfüllt.
Mit dem Gesetz wurde der Weg freigemacht für die
Auszahlung weiterer 100 Millionen Euro über 25 Jahre
(50 Millionen Euro freiwillig zur Verfügung gestellte
Mittel der Firma Grünenthal und 50 Millionen Euro aus
dem Kapitalstock der Conterganstiftung). So erhalten
Zu Protokoll gegebene Reden
24412 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
(A) (C)
( (D)
Menschen mit Conterganschädigungen seither, gestaffelt
nach Schwere der Behinderung, zusätzlich zu den
monatlichen Conterganrenten jährliche Sonderzahlungen.
Durchschnittlich betragen diese Sonderzahlungen
derzeit 2 206 Euro.
Der Stiftungszweck der Conterganstiftung wurde dahin
gehend geändert, dass nur noch Menschen mit Conterganschädigungen
gefördert werden statt wie bisher
auch Menschen mit anderen Behinderungen. Außerdem
wurden die Strukturen der Stiftung gestrafft.
Viele Forderungen unseres fraktionsübergreifenden
Antrags „Angemessene und zukunftsorientierte Unterstützung
der Contergan-Geschädigten sicherstellen“ vom
3. Dezember 2008 wurden im Zweiten Änderungsgesetz
aufgenommen. Darüber hinaus hatten wir erforderliche
Maßnahmen in Bezug auf Folge- und Spätschäden, Erleichterungen
bei der Gewährung von Leistungen, die
Sicherstellung qualifizierten ärztlichen und anderen
Fachpersonals sowie ein geeignetes Beratungs- und Informationsangebot
gefordert. Eine zentrale Forderung
unseres Antrags war, einen Forschungsauftrag in Form
einer partizipativ angelegten Längsschnittstudie zur
Lebenssituation von Menschen mit Conterganschädigungen
im Hinblick auf Spät- und Folgeschäden zu vergeben.
Mit der Erstellung dieser Studie wurde das Institut für
Gerontologie der Universität Heidelberg beauftragt.
Am 27. Juni 2012 wurden das Zwischenergebnis und
daraus folgend die Ableitung erster Handlungsempfehlungen
der Studie mit dem Titel „Wiederholt durchzuführende
Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen
und Versorgungsdefiziten“ im Familienausschuss vorgestellt.
Der Zwischenbericht zeigt deutlich Handlungsbedarf
und gibt bereits erste Empfehlungen. So sind die Folgeschäden
wohl noch gravierender als bisher vermutet.
Auch bei der medizinischen Versorgung muss nachgebessert
werden. Wir warten nun auf die Vorlage des Abschlussberichts
und erörtern dann in einer öffentlichen
Anhörung mit Betroffenen, was wir tun können.
Nach Vorlage des Abschlussberichts der Studie – voraussichtlich
Ende dieses Jahres – werden wir eine öffentliche
Anhörung durchführen, zu der wir alle Verbände
und Betroffene einladen werden. Inhalt wird der Umsetzungsstand
der beiden Änderungsgesetze zum Conterganstiftungsgesetz
und des Antrags sowie der Handlungsempfehlungen
der Studie sein. Im Anschluss
werden wir die Anhörung auswerten und Schlussfolgerungen
für das parlamentarische Handeln ziehen.
Dieses Vorgehen war im Familienausschuss so besprochen
und gutgeheißen worden. Es ist sehr schade,
dass die Fraktion der Linken mit dem vorliegenden Antrag
unser gemeinsames, fraktionsübergreifendes Vorgehen
aufkündigt und die Arbeit mit den zum Teil völlig
unrealistischen Forderungen unnötig erschwert.
Weitere Verbesserungen für Menschen mit Conterganschädigungen
zu erreichen, ist unser aller Ziel. Dieses
Thema ist zur parteipolitischen Profilierung gänzlich
ungeeignet. Die große Mehrheit des Deutschen
Bundestages wird sich davon nicht beirren lassen, an
dem vereinbarten Vorgehen festhalten und mit aller gebotenen
Sorgfalt und Gründlichkeit an weiteren Verbesserungen
für die Lebenssituation der betroffenen Menschen
arbeiten und diese zügig – noch in dieser
Legislaturperiode – umsetzen.
Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Die Politik der letzten Jahrzehnte im Bereich Contergan
ist von Versäumnissen geprägt. Die Verärgerung
und der verständliche Frust bei den Betroffenen über die
Politik sind enorm. Trotzdem sollten wir auch einen
Moment innehalten und das seit 2008 im Sinne der
Conterganopfer – mit der überwiegenden Mehrheit des
Hauses – Erreichte betrachten. Diese im Kern von CDU/
CSU, SPD und FDP getragenen Entscheidungen waren
bereits ein großer Schritt, die Lebenssituation der Betroffenen
zu verbessern.
Dabei ist sich die FDP stets bewusst, dass alle Leistungen
den enormen Schaden für die Gesundheit sowie
die seelische Belastung der Betroffenen nicht ausgleichen
können.
Am 22. Januar 2009 hat der Deutsche Bundestag
einem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD
und der FDP zur Sicherstellung einer angemessenen
und zukunftsorientierten Unterstützung der contergangeschädigten
Menschen zugestimmt (Bundestagsdrucksache
16/11223). Die Forderungen der FDP gingen über
diesen gemeinsam mit der damaligen Großen Koalition
beschlossenen Antrag hinaus.
Die FDP wollte sowohl die Dynamisierung der
Conterganrenten als auch die Streichung des Fristausschlusses.
Beides wurde mit der Verabschiedung des
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes
umgesetzt.
Anders als der Antrag der Linken suggeriert, war die
Lebenssituation der Contergangeschädigten den
Antragstellern aus CDU/CSU, SPD und FDP sehr wohl
bekannt, was zu den deutlichen Verbesserungen für die
Betroffenen – verglichen mit der Situation vor dem
1. Juli 2008 – führte. Um die Lebenssituation der
Contergangeschädigten in finanzieller Hinsicht zu verbessern,
wurden die Conterganrenten zum 1. Juli 2008
verdoppelt. Zusätzlich zu den Renten aus der Conterganstiftung
stehen den Contergangeschädigten die Ansprüche
auf Leistungen aus den Sozialversicherungen wie
Kranken-, Renten- oder Pflegeversicherung bzw. die
Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch,
SGB XII, anrechnungsfrei zu. Außerdem
wird die von der Grünenthal GmbH eingebrachte
Spende von 50 Millionen Euro in die Conterganstiftung
zusammen mit 50 Millionen, die aus der Kapitalisierung
des Stiftungsvermögens stammen werden, genutzt, um
eine jährliche Sonderzahlung für den besonderen Bedarf
der contergangeschädigten Personen auszuschütten.
Vor der Verdoppelung der Conterganrenten zum
1. Juli 2008 erfolgte die letzte Rentenerhöhung für Conterganopfer
zum 1. Juli 2004. Diese Zeiträume waren
Zu Protokoll gegebene Reden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 24413
Nicole Bracht-Bendt
(A) (C)
( (D)
unbefriedigend, da die Inflation die Rentenerhöhung
aushöhlte. Den Dynamisierungsfaktor der Altersbezüge
auf die Conterganrenten zu übertragen, war ein naheliegender
und unbürokratischer Weg der Dynamisierung
und der damit einhergehenden Rentenerhöhung.
Die FDP trat gleichzeitig dafür ein, die Rentenhöhe
in geeigneten Zeiträumen grundlegend zu überprüfen,
da mit fortschreitendem Alter der Contergangeschädigten
auch der Hilfebedarf weiter zunimmt. Als Zeitraum
für eine solche regelmäßige Überprüfung hatten wir fünf
Jahre angeregt, also bis 2013.
Die FDP steht zu diesem Wort und tritt weiterhin für
eine solche grundlegende Neujustierung der Rente noch
vor dem Ende der laufenden Legislaturperiode ein.
Um die Hilfen für die Betroffenen möglichst passgenau
zu entwickeln, wurde vom zuständigen Familienministerium
die Erarbeitung einer Studie des Instituts
für Gerontologie der Universität Heidelberg in Auftrag
gegeben. Die Studie widmet sich wissenschaftlich den
speziellen Bedarfen sowie den Versorgungsdefiziten
contergangeschädigter Menschen. Eine Studie, deren
Erstellung von der Linken übrigens abgelehnt wurde.
Inzwischen liegen erste Zwischenergebnisse vor, die
auch bereits von Professor Kruse am 27. Juni 2012 im
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
des Deutschen Bundestages vorgestellt wurden. Mehrmals
ist die Fraktion Die Linke drauf hingewiesen
worden, dass dieser Bericht des Instituts für Gerontologie
der Universität Heidelberg ein zusammenfassender
Bericht über die ersten Untersuchungsergebnisse und
die daraus erarbeiteten ersten Handlungsempfehlungen
war. Der Zwischenbericht hat daher vorläufigen
Charakter. Der endgültige Abschlussbericht wird zum
Jahresende 2012 vorliegen. Die Bundesregierung prüft
zurzeit die Empfehlungen und wird nach der Vorlage des
Endberichts entscheiden, welche konkreten Maßnahmen
zu ergreifen sind.
Gemeinsam mit CDU/CSU und SPD haben die Liberalen
Anfang 2009 in dem bereits mehrfach erwähnten
Antrag formuliert: „Die Contergangeschädigten leiden
heute an schmerzhaften Spätfolgen, die durch jahrelange
Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken,
Muskulatur, aber auch durch die Überbeanspruchung
der Zähne entstanden sind. Die körperlichen Beeinträchtigungen
und Schmerzzustände haben darüber
hinaus erhebliche negative psychische Belastungen zur
Folge. Bei Berufstätigen führt das häufig zur Frühverrentung
mit erheblichen Einbußen für die Altersversorgung
und die gesellschaftliche Teilhabe. Erschwerend
für die persönliche Situation der Conterganopfer
kommt hinzu, dass mit ihrem Älterwerden auch ihre
Familienangehörigen älter werden, auf deren Hilfe und
Unterstützung sie angewiesen sind. Mit zunehmendem
Alter der Betroffenen sind sie daher immer stärker auf
außerhäusliche Hilfe angewiesen.“
Diese Situation ist weiterhin gegeben. Ich, aber auch
die gesamte FDP sehen die Politik in der Verantwortung
und wollen weitere Hilfestellungen für die Betroffenen
noch vor Abschluss dieser Legislatur erreichen.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Täterschutz statt Opferunterstützung – das ist die
Bilanz von 55 Jahren Conterganskandal und 40 Jahren
Conterganstiftung. Schuldig ist nicht nur die Firma
Grünenthal und deren Besitzer, die Familie Wirtz, sondern
auch die Politik und die bundesdeutsche Justiz. Ein
schwerwiegender Vorwurf? Ich meine ja und möchte ihn
– auch im Namen vieler contergangeschädigter Menschen
und ihrer Angehöriger – hier bekräftigen.
Was hat die Herstellerin des Schlafmittels Contergan,
die Firma Grünenthal GmbH, und deren Eigentümer, die
Milliardärsfamilie Wirtz, nach dem Conterganskandal,
der Zehntausende Opfer im In- und Ausland forderte,
getan? Sie hat – mithilfe von Politik und Justiz – mit
Druck auf die Eltern der contergangeschädigten Kinder
alles getan, um einer gerechten Verurteilung zu entgehen.
Das Ergebnis: Vor 40 Jahren, am 31. Oktober 1972,
nahm die Conterganstiftung – sie hieß bis 19. Oktober
2005 Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ – ihre
Tätigkeit auf. Nachdem die Firma Grünenthal
100 Millionen D-Mark, rund 51 Millionen Euro, an die
Conterganopfer zahlte, welche in die Stiftung überführt
wurden, erließ der deutsche Staat faktisch ein Enteignungsgesetz
(siehe § 23 Abs. 1 des Gesetzes über die
Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“). Aber damit
enteignete er nicht die Täter – Grünenthal –, sondern
die Opfer. Sämtliche Ansprüche der Contergankinder
gegen die Schädigungsfirma Grünenthal, ihre Eigentümer
und Angestellten wurden per Bundesgesetz zum Erlöschen
gebracht. Seither liegt die finanzielle Gesamtverantwortung
für die Contergangeschädigten bei der
Bundesrepublik Deutschland.
Und in den nachfolgenden 40 Jahren? Eine Entschuldigung
bei den Opfern und ihren Angehörigen steht bis
heute aus. Die Rede vom Vorsitzenden des Grünenthal-
Konzerns, Dr. Harald F. Stock, anlässlich der Einweihung
des Contergandenkmals am 31. August 2012 in
Stolberg, in der er sagte: „Im Namen Grünenthals mit
seinen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern und allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möchte ich die Gelegenheit
wahrnehmen, heute anlässlich dieser Stunde des
Gedenkens unser großes Bedauern über die Folgen von
Contergan und unser tiefes Mitgefühl für die Betroffenen,
ihre Mütter und ihre Familien zum Ausdruck zu
bringen. Wir sehen sowohl die körperlichen Beschwernisse
als auch die emotionale Belastung, die die Betroffenen
selbst, ihre Familien und besonders ihre Mütter
aufgrund von Contergan erleiden mussten und auch
heute täglich ertragen … Darüber hinaus bitten wir um
Entschuldigung, dass wir fast 50 Jahre lang nicht den
Weg zu Ihnen von Mensch zu Mensch gefunden haben.
Stattdessen haben wir geschwiegen, und das tut uns sehr
leid“, war keine Entschuldigung in der Sache, zumal
Grünenthal nicht nur geschwiegen hat.“
Der Druck auf ihre Opfer ging weiter. Hochbezahlte
Rechtsanwälte überzogen protestierende Conterganopfer
mit Klagen, und auch der Film „Eine einzige Tablette“
konnte erst nach erbittertem Rechtsstreit 2007 in
der ARD gesendet werden. Anstatt sich mit den erzielten
Unternehmensgewinnen und dem vorhandenen Vermögen
angemessen an der Entschädigung der Opfer zu be-
Zu Protokoll gegebene Reden
24414 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012
Dr. Ilja Seifert
(A) (C)
( (D)
teiligen, legt Grünenthal nun noch einen eigenen, völlig
intransparenten Hilfsfonds auf, bei dem jetzt die Opfer
um Hilfe betteln dürfen. Hier werden – die unzureichende
Versorgung der Menschen mit Conterganschäden
und ihrer Angehörigen durch den Staat und die dafür
zuständige Stiftung ausnutzend – die Betroffenen
zusätzlich gedemütigt, es wird Ungleichheit geschaffen
und Missgunst geschürt. Und die Bundesregierung? Sie
schweigt und lässt Grünenthal gewähren. Das ist, so
meine ich, skandalös.
Die Linke fordert, dass die Firma Grünenthal bzw.
die Familie Wirtz endlich zur Entschädigung herangezogen
wird. Denkbar ist zum Beispiel die Einzahlung von
30 Prozent des Jahresgewinns der Unternehmen der Familie
Wirtz an die Conterganstiftung sowie die Einzahlung
von Erlösen aus Unternehmensveräußerungen bis
zur Höhe der durch den Bund seit 1972 geleisteten Zahlungen.
Auch eine offizielle Entschuldigung durch Bundestag,
Bundesregierung und Justiz gegenüber den Contergangeschädigten,
ihren Eltern und weiteren Angehörigen
steht bis heute aus. Deswegen schlägt die Linke vor, dass
der Deutsche Bundestag endlich alle contergangeschädigten
Menschen und ihre Angehörigen für das ihnen
angetane Unrecht und Leid um Entschuldigung bittet.
Aus der Übernahme der Gesamtverantwortung durch
die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich – das hat
das Bundesverfassungsgericht bestätigt – ein Anspruch
der geschädigten Personen und ihrer Angehörigen nach
dem Sozialen Entschädigungsrecht. Diesem Recht wird
bisher nur unzureichend entsprochen, unter anderem mit
dem „Argument“, sie hätten ja keine „Sonderopfer für
den Staat“ erbracht.
Katastrophal ist die derzeitige Lebenssituation der
Conterganopfer und ihrer Angehörigen. Bereits in der
Beschlussempfehlung des Bundestages vom 20. Januar
2009 (Drucksache 16/11625) hieß es: „Heute leiden die
Betroffenen zunehmend an schmerzhaften Spätfolgen
durch die jahrelange Fehlbelastung von Wirbelsäule,
Gelenken und Muskulatur und auch eine Überbeanspruchung
der Zähne. Hinzu kommen psychische Belastungen
und berufliche Beeinträchtigungen.“ Die Lebenssituation
der Betroffenen ist also seit mindestens vier
Jahren bekannt. Und sie hat sich seitdem weiter verschärft.
Das ist mit der Studie des Gerontologischen Instituts
der Universität Heidelberg inzwischen auch wissenschaftlich
belegt.
Eine Ursache für die katastrophale Situation ist, dass
das Behindertenrecht in Gänze nicht auf Selbstbestimmung,
umfassende Teilhabe, freie Persönlichkeitsentfaltung
und ein Leben in Würde ausgerichtet ist, obwohl
das Grundgesetz, das Bundesgleichstellungsgesetz, das
Sozialgesetzbuch IX und vor allem die seit dem 26. März
2009 in Deutschland geltende UN-Behindertenrechtskonvention
dies gesetzlich garantieren müssten. Je
nachdem wann und in welchem Zusammenhang man
seine Behinderung erwarb, werden gesundheitliche Versorgung,
soziale Absicherung, Kompensationen in der
Kinder- und Jugendzeit während der Erwerbstätigkeit
und im Alter eher willkürlich „gewährt“.
Die zweite Ursache ist, dass die Bundesregierung und
die dafür vor 40 Jahren extra geschaffene Conterganstiftung
ihre Pflichten nicht erfüllen.
Die bisher gezahlten „Conterganrenten“ und weitere
finanzielle Leistungen reichten nicht, um das Leben einigermaßen
erträglich zu gestalten und bestehende Nachteile
zu kompensieren. Finanzielle Nachteile – zum Beispiel
Verdienstausfälle – für die Betroffenen und ihre
Angehörigen kamen zu den direkten Schädigungen in
Folge von Contergan hinzu. „Schmerzensgeld“ wurde
bisher nicht gezahlt. Es mangelt auch an Beratung und
Hilfe zur Selbsthilfe. Alles, was die Bundesregierung
und die in ihrem Auftrag handelnde Stiftung in den letzten
40 Jahren tat, war die mehr schlechte als rechte Erfüllung
von gesetzlichen Pflichten. Eigene Initiativen zur
Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen?
Fehlanzeige! Alles, was in den letzen Jahren an positiven
Veränderungen erreicht wurde, war mühsamer Kampf
der Betroffenen.
Inzwischen wird wenigstens kein Stiftungsgeld mehr
in Projekte gesteckt, die mit den Conterganopfern nichts
zu tun haben. Inzwischen sitzen wenigstens zwei von den
Betroffenen selbst gewählte Vertreter im Stiftungsrat.
Aber noch sind Menschen mit Conterganschäden und
ihre Interessenvertretungen in den Gremien der Conterganstiftung
unterrepräsentiert. Die Vertreterinnen
und Vertreter der Bundesregierung haben die Mehrheit
im Stiftungsrat und Stiftungsvorstand und üben die
Rechtsaufsicht/Kontrolle über die Stiftung aus. Das
Ministerium kontrolliert sich selbst und „mauert“, wo es
nur kann, wenn es um Transparenz und Mitbestimmung
der Betroffenen geht.
Dass es auch anders geht, beweist die Arbeit von
zahlreichen anderen Stiftungen mit Bundesbeteiligung
(siehe auch Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Linken zu Stiftungen des Bundes, Drucksache
17/10227). Die Linke fordert deswegen: Die Stiftung
muss (mehrheitlich) in die Hände und Füße der Conterganopfer,
und die Vertreter des Bundes sollten vom Bundestag
gewählt werden.
Die im vorliegenden Antrag vorgeschlagenen Änderungen
im Conterganstiftungsgesetz sowie die weiteren
Maßnahmen hat sich die Linke nicht am Schreibtisch
ausgedacht. Sie sind das Ergebnis umfassender Diskussionen
mit den Betroffenen und ihren Organisationen;
sie finden sich wieder in den Empfehlungen der Universität
Heidelberg, die im Auftrag des Bundestages und
der Conterganstiftung eine umfassende Studie zur Lebenssituation
der Conterganopfer erstellte; sie basieren
auf detaillierten Analysen und seriösen Berechnungen
der Betroffenen. Ich verweise hier auf die Stellungnahme
von Udo Herterich im Gespräch mit dem Familienausschuss
des Bundestages am 17. Oktober 2012.
Die wesentlichsten Vorschläge bzw. Forderungen
möchte ich hier noch einmal nennen:
Erstens sind Conterganrenten und Kapitalentschädigungen,
die nach § 12 Abs. 2 des Conterganstiftunsgesetzes
beantragt wurden bzw. werden, rückwirkend zu
zahlen; denn die Schädigung durch Contergan gibt es
Zu Protokoll gegebene Reden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 24415
Dr. Ilja Seifert
(A) (C)
( (D)
bei allen nicht mit Antragstellung, sondern seit der Geburt.
Zweitens werden die monatlichen Entschädigungsleistungen
rückwirkend zum 1. Januar 2012 um 300 Prozent
erhöht.
Drittens sind behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche
sowie Kosten für bedarfsgerechte Assistenz- und
Pflegeleistungen sowie Umbaumaßnahmen in der Wohnung
und am Pkw durch zusätzliche einkommens- und
vermögensunabhängige Leistungen aus der Conterganstiftung
zu erstatten, solange diese nicht durch die Leistungen
aus den Sozialgesetzen kompensiert werden.
Maßstab ist dabei das Soziale Entschädigungsrecht.
Viertens müssen Folgeschäden im Sinne der ersten
Handlungsempfehlung der Universität Heidelberg anerkannt
werden. Die „medizinische Punktetabelle“ zur
Bewertung der Körperschäden ist entsprechend zu überarbeiten
und auf maximal 200 Punkte zu erweitern.
Fünftens ist ein Schmerzensgeld, abgestuft nach dem
aktuellen Punktesystem, ausgehend von 1 Million Euro
= 100 Schadenspunkte, zu zahlen.
Ich meine, der Antrag der Linken ist eine gute Grundlage,
um in der geplanten öffentlichen Anhörung des Familienausschusses
im Januar 2013 nicht nur den Antrag
und den Bericht über die Studie der Universität Heidelberg
zu beraten, sondern auch über einen gemeinsamen
Gesetzentwurf für ein Drittes Conterganstiftungsänderungsgesetz.
Abschließend noch ein letzter Gedanke. Auch wenn
die Lebenssituation der Betroffenen vor allem den Blick
bzw. Aktivitäten nach vorn verlangen, brauchen wir eine
angemessene Aufarbeitung der Geschichte. Die bisherigen
Weigerungen der Bundesregierung und der Conterganstiftung
sind nicht länger hinnehmbar. Deswegen
fordern wir die Bundesregierung auf, einen Forschungsauftrag
zur Geschichte und Herkunft des in Contergan
verwendeten Wirkstoffes sowie zur Geschichte des Conterganskandals
unter aktiver Einbeziehung bzw. Mitwirkung
der Betroffenen auszulösen. Das sind wir den noch
lebenden und vor allem den vielen bereits verstorbenen
Conterganopfern sowie ihren Müttern, Vätern und weiteren
Angehörigen schuldig.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Firma Grünenthal produzierte und vertrieb Ende
der 50er-Jahre insgesamt 22 thalidomidhaltige Medikamente,
darunter das als ungiftig beworbene Contergan.
Innerhalb weniger Jahre machten diese Medikamente
insgesamt 50 Prozent des Gesamtumsatzes des Unternehmens
aus. Obwohl es bereits in dieser Zeit eine politische
und fachliche Diskussion über schädigende Auswirkungen
von Medikamenten bei Einnahme während
der Schwangerschaft gab, hatte der Staat zu Beginn der
Debatte um mögliche schädliche Auswirkungen von
Contergan in diesem Zusammenhang keine Interventionsbefugnis.
Erst durch öffentlichen Druck konnte
Grünenthal dazu gezwungen werden, das Medikament
vom Markt zu nehmen.
Der Conterganskandal hat unsere Gesellschaft verändert.
Er hatte, wenn auch zeitlich verzögert, erst in
den 70er-Jahren Konsequenzen für das Arzneimittelrecht.
Die Vorgaben zur Arzneimittelsicherheit wurden
verbessert.
Während Grünenthal erhebliche Gewinne machte,
wurde und wird den Geschädigten in mehrfacher Hinsicht
Unrecht getan: Zeit ihres Lebens wurden sie von
medizinischer Forschung objektiviert, sie wurden als
„Missgeburten“ bezeichnet und wahrgenommen. Für
den Verlust an Lebensqualität, den sie erleben, sind sie
bis heute nicht angemessen entschädigt worden. Sie
müssen bis heute mit Krankenkassen um die Finanzierung
ihrer Heil- und Hilfsmittel kämpfen. Mit zunehmenden
Alter nehmen auch ihre Schmerzen zu, während
gleichzeitig soziale Unterstützungsnetzwerke, etwa durch
den Tod der Eltern, wegbrechen.
Als wir hier das letzte Mal über die Situation Contergangeschädigter
gesprochen haben, war uns klar, dass
die Zahlungen, die sie zur Deckung ihrer Bedarfe erhalten,
nicht ausreichend sind. Im Wissen um die unangemessene
Versorgungssituation der Betroffenen wurden
damals unter anderem die sogenannten Conterganrenten
verdoppelt. Die Forderung der Grünen-Fraktion,
im Rahmen einer Studie die Bedarfe genau zu ermitteln,
damit auf dieser Grundlage über weitere Verbesserungen
entschieden werden kann, wurde von der damaligen
Bundesregierung aufgegriffen und eine Studie an der
Universität Heidelberg in Auftrag gegeben.
Die Ergebnisse, die uns aus dieser Studie vorliegen,
sind zwar erst vorläufig, dafür aber um so deutlicher:
Ungedeckte Bedarfe belasten Contergangeschädigte in
einem Ausmaß, das fast nicht vorstellbar ist, wenn man
nicht täglich damit lebt. Fast 85 Prozent der Befragten
leiden an Schmerzen, ihre Bedarfe an Medikamenten,
Hilfsmitteln, rehabilitativen Maßnahmen und physikalischer
Therapie sind in großen Teilen nicht gedeckt.
Nur wenige sind finanziell in der Lage, sie in Eigenleistung
zu finanzieren. Der Bedarf an Assistenz im Alltag
wird zunehmen, er ist bereits jetzt nicht ausreichend gedeckt.
Ein bemerkenswerter Teil der Geschädigten kann
aufgrund der Schädigung und mangelnder Versorgung
nicht mehr arbeiten, entsprechend bestehen Verdienstausfälle.
Für uns kann das nur eins bedeuten: Wir müssen handeln,
und zwar jetzt! Die Betroffenen werden immer älter,
ihre Schmerzen nehmen zu. Ihre Bedarfe werden
steigen. Deswegen müssen wir jetzt den Schadensausgleich
verbessern und regelmäßig überprüfen.
Es wurde bereits diskutiert, inwiefern die Versorgung
der Contergangeschädigten über das System der Sozialversicherungen
geleistet werden kann. Ich habe schon
von den Kämpfen gesprochen, die sich die Geschädigten
mit den Krankenkassen immer wieder liefern müssen.
Die Kassen weigern sich hartnäckig, Kosten für nötige
Heil- und Hilfsmittel zu übernehmen. Zahnimplantate
werden nicht gezahlt, selbst wenn Geschädigte sich aufgrund
verkürzter Arme Prothesen nicht selbstständig
einsetzen können. Das ist nicht das einzige Beispiel, es
gibt zahlreiche. Auch die explizite Aufforderung des
Zu Protokoll gegebene Reden
24416 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012
Markus Kurth
(A) (C)
( (D)
Ministeriums an die Krankenversicherungen, im Falle
Contergangeschädigter unbürokratisch zu agieren, konnte
daran nichts ändern. Auch wenn nachvollziehbar ist,
dass die Kassen Leistungen zum Ausgleich der Folgen
einer Schädigung nicht aus Versicherungsbeiträgen finanzieren
möchten, hätte ich mir angesichts der Situation
Contergangeschädigter eine konstruktivere Zusammenarbeit
und weniger Rücksichtslosigkeit gewünscht.
Für uns ist die Konsequenz aus diesen Erfahrungen allerdings
eindeutig: Wir müssen die Finanzierung anders
absichern als über die gesetzliche Krankenversicherung.
Die Frage, wie man grundsätzlich damit umgeht,
dass Krankenkassen scheinbar unbeeindruckt von politischen
Entscheidungen ihre eigenen Ziele verfolgen, ist
eine, die wir dringend angehen müssen, aber nicht im
Rahmen der Entschädigung von Conterganopfern regeln
können.
Ich habe es schon gesagt: Wir müssen schnell handeln.
Aus meiner Sicht ist es bereits jetzt möglich, auf
der Grundlage der Ergebnisse der Heidelberger Studie
die Conterganrenten zu erhöhen. Selbst wenn bisher
keine detaillierten Zahlen vorliegen: Sollte bei der Berechnung
eine Unschärfe zugunsten der Betroffenen entstehen,
so ist das vor dem Hintergrund der vergangenen
Jahre ohne Frage hinnehmbar.
Die Bundesrepublik Deutschland steht in der Haftungsnachfolge
der Firma Grünenthal. Die Finanzierung
von notwendiger Assistenz und von Hilfen im Alltag,
von Pflege, von rehabilitativen und therapeutischen
Maßnahmen, von Umbaumaßnahmen zur Steigerung der
Barrierefreiheit im Wohnbereich und die Finanzierung
eines Kraftfahrzeugs über die „Rente“ ist systematisch
gerechtfertigt. Das sollte uns nicht davon abhalten, weiterhin
auf Grünenthal einzuwirken, sich an der Finanzierung
zu beteiligen. Dass die Firma moralisch in der
Pflicht steht, ist wohl schwerlich zu widerlegen.
Natürlich ist eine Nachbefragung durch die Universität
Heidelberg zur Ermittlung der tatsächlichen Verluste,
die den Betroffenen durch die Conterganschädigung
entstanden sind, weiterhin geboten. Ich halte es
weiterhin für nötig, auch nach der jetzt durchzuführenden
Erhöhung der Renten weiter darüber zu sprechen, in
welcher Höhe den Geschädigten eine finanzielle Kompensation
für den Verlust an Lebensqualität geleistet
werden kann. Wie hoch eine solche zusätzliche Zahlung
ausfallen sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Ich bin der Überzeugung, dass wir darüber mit
Blick auf die Entschädigungszahlungen, die Opfer von
Medikamentenskandalen heute bekommen, weiter diskutieren
müssen.
Abschließend möchte ich mich bei allen Betroffenen
bedanken, die uns noch immer konstruktiv darin unterstützen,
die Situation zu verbessern. Ich kann Ihren Ärger
darüber, wie lange nichts oder zu wenig getan
wurde, verstehen: Er ist gerechtfertigt – genau wie das
Ende der Geduld. Es ist nun Aufgabe dieses Parlaments,
zügig einen Beschluss zu fassen, der Ihnen ein Leben in
Würde ermöglicht.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11041 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann haben wir das so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 30:
–Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze
– Drucksachen 17/10749, 17/10962 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
– Drucksache 17/11185 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen)
–Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/11188 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Bettina Hagedorn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Im Jahr 2008 wurde in Deutschland das sogenannte
Schornsteinfegermonopol abgeschafft. Man wollte damit
europäischen Vorgaben entsprechen. Bis dato hatte
jeweils ein Bezirksschornsteinfegermeister für einen der
rund 8 000 Kehrbezirke in Deutschland das alleinige
Überwachungs- und Kehrrecht. Nach Ablauf einer
Übergangszeit sind die Bezirksschornsteinfegermeister
ab dem 1. Januar 2013 anderen Handwerksberufen
gleichgestellt. Das neue Berufsrecht der Schornsteinfeger
hat mittel- bis langfristig Auswirkungen auf die gesetzliche
Zusatzversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister.
Bislang war ihre Alterssicherung durch eine
sich über das gesamte Arbeitsleben erstreckende
Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung
und im Zusatzversorgungssystem der Versorgungsanstalt
der deutschen Bezirksschornsteinfegermeister
sichergestellt. Die Beibehaltung der bisherigen Pflichtversicherung
wird jedoch durch die Gleichstellung der
Bezirksschornsteinfegermeister mit den übrigen Handwerksberufen
aus praktischen und rechtlichen Gründen
höchst problematisch. Mit dem Gesetz zur Neuordnung
der Altersvorsorge bevollmächtigter Bezirksschornsteinfeger,
das wir heute im Deutschen Bundestag beschließen,
regeln wir die Altersversorgung der Schornsteinfeger
in verlässlicher Weise neu. Damit zeigen wir
durch konkretes Handeln: Das deutsche Handwerk
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. Oktober 2012 24417
Peter Weiß (Emmendingen)
(A) (C)
( (D)
– auch das Schornsteinfegerhandwerk – kann sich auf
die Koalition von CDU/CSU und FDP verlassen.
Grundsätzlich gilt für die Zukunft: Die Handwerkerregelung
in der deutschen Rentenversicherung greift auch
für Schornsteinfeger.
Es ist unstrittig, dass mit der folgerichtig einhergehenden
Schließung des umlagefinanzierten Versorgungswerks
der Bezirksschornsteinfegermeister Ende
2012 das Altersversorgungssystem überdacht und angepasst
werden muss. Mit dem vorliegenden Ges
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Hallo Brigitte,

Du brauchst doch bloß oben die Seitennummer 192 eingeben und Enter drücken, schon bist Du da, wo es interessant ist.
Grüsse Euch

Braunauge
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Ok Danke
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