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170 Frauen schwanger trotz Verhütung In Chile lieferte ein deutscher Hersteller wirkungslose Anti-Baby-Pillen aus
Der Pharmakonzern Grünenthal gerät in Chile unter Druck. Er lieferte fehlerhafte Verhütungsmittel aus. Für die ungewollt Schwangeren ist das ein Drama. Sandra Weiss
Die staatliche Gesundheitsbehörde belegte die Labore mit einer Strafe von umgerechnet 92.000 Dollar.
Die staatliche Gesundheitsbehörde belegte die Labore mit einer Strafe von umgerechnet 92.000 Dollar.Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa
Es begann mit einem Verpackungsfehler in einem chilenischen Labor des deutschen Arzneimittelherstellers Grünenthal, ging weiter mit einem halbherzigen Rückruf durch die Behörden und endete mit einem Drama: Bis zu 170 Chileninnen wurden trotz Pilleneinnahme im vorigen Jahr schwanger.
Eine von ihnen ist Eugenia Corvalán aus Talca. Die 30-jährige Pizzabäckerin wollte kein Kind, sondern plante eine mehrmonatige Reise mit ihrem Freund, wie chilenische Medien berichteten. Zur Verhütung nahm sie seit zwei Jahren regelmäßig die Pille Anulette CD des Labors Silesia, die sie in einer örtlichen Apotheke kaufte. Im September ging sie wegen schwerer Krämpfe ins Krankenhaus. Dort bescheinigten ihr die Ärzte, dass sie schwanger sei.
Ein paar Tage später schickte ihre Schwester ihr einen Link auf die Seite der Frauenorganisation Miles. Dort erfuhr Corvalán zum ersten Mal, dass es bei der Pillenproduktion zu Fehlern gekommen war, und die Labore Silesia und Andrómaco – Tochterunternehmen von Grünenthal – im August eine Rückrufaktion gestartet hatten. Grünenthal ist seit 1979 in Chile und gehört dort zu den fünf marktführenden Pharmaunternehmen.
Miles, eine Frauenorganisation aus Chile, wurde durch den Rückruf auf die Panne aufmerksam und beschloss, die Sache im Blick zu behalten. „Im August 2020 wurden 130.000 Päckchen zurückgerufen. Geliefert worden waren sie schon im September 2019, wie uns die staatliche Einkaufsstelle berichtete“, sagt die juristische Koordinatorin von Miles, Laura Dragnic. „Seltsam ist für uns, dass die defekten Pillen so lange im Umlauf waren.“
Der Frauenorganisation zufolge war es nicht die Qualitätskontrolle des Labors, die Alarm schlug, sondern ein Gesundheitsposten. Dort war dem Personal aufgefallen, dass in einigen Blistern Tabletten fehlten, zerdrückt oder vertauscht waren. Anulette CD besteht aus 21 Verhütungspillen und sieben Placebos, die während der Periode einzunehmen sind.
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Die Firma bestätigte dem Tagesspiegel den Vorfall. Im August und September seien zwei Ladungen zurückgerufen worden. Es sei zu Verpackungsfehlern gekommen, die jedoch sichtbar gewesen seien. Laut Grünenthal wurden diese Fehler bei zwölf von insgesamt 276.890 überprüften Packungen festgestellt.
Viele der betroffenen Frauen sind arm, die Schwangerschaft ist für sie ein Drama
Die beiden Labors belieferten vor allem die staatlichen Gesundheitsposten, wo die Pille kostenlos an rund 380000 bedürftige Frauen im Land abgegeben wird. Für viele von ihnen ist die Schwangerschaft ein persönliches Drama, denn aufgrund der Pandemie sind sie in einer wirtschaftlich noch schwierigeren Situation als vorher schon.
„Ich war total fertig und wütend, als ich davon erfuhr“, erzählte die mittlerweile im siebten Monat Schwangere Damaris Reyes (24) der Zeitung „La Tercera“. „Ich will kein Kind und der Vater auch nicht. Er begann, mir die Schuld zu geben, mich verbal zu misshandeln und verließ mich. Die Verantwortung wird letztlich auf uns Frauen abgewälzt.“
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Miles-Juristin Dragnic sagt dazu: „Für uns ist das eine eklatante Verletzung des Rechts auf Familienplanung und der Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper.“ Die Firma entgegnet mit Statistiken, wonach auch bei korrekter Anwendung drei von tausend Frauen trotz Pille schwanger werden. Für Miles tragen sowohl der Staat als auch das Unternehmen Verantwortung.
Frauenorganisation beklagt "halbherzige Rückrufaktion"
„Die Rückrufaktion war halbherzig, viele Frauen haben nicht davon erfahren oder viel zu spät.“ Außerdem hätten die Behörden auch nicht erforscht, ob noch weitere Lieferungen betroffen seien. Die staatliche Gesundheitsbehörde belegte die Labore mit einer Strafe von umgerechnet 92.000 Dollar und kurzfristiger Suspendierung.
Das greift für Miles jedoch zu kurz. „Das Geld geht nicht an die Betroffenen, sondern verbleibt beim Staat.“ Die Organisation wandte sich deshalb an die UNO und an die Interamerikanische Menschenrechtskommission in der Hoffnung, dass den Frauen, die abtreiben wollen, dies genehmigt wird.
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Obwohl ein striktes Gesetz in Chile derzeit Abtreibung nur bei Vergewaltigung erlaubt und wenn das Leben der Mutter oder des Kindes in Gefahr sind. Ausserdem arbeitet Dragnic derzeit an einer zivilen Entschädigungsklage. „Wenigstens für die entstehenden Kosten sollten die Frauen Unterstützung erhalten“, sagt Dragnic.