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Ein Forschungsbericht offenbart, dass die Contergan-Geschädigten nun, im höheren Alter, deutlich mehr Hilfe benötigen. Nach unzureichenden Entschädigungen muss der Gesetzgeber dringend helfen. Von Matthias Kamann
Größte Bewunderung verdienen die Contergan-Geschädigten dafür, mit welcher Kraft sie ihren Alltag trotz schwerer Verstümmelungen tagtäglich meistern und wie selbstverständlich sie seit frühester Kindheit die ungeheure Herausforderung angenommen haben, ein Leben in leistungsbereiter Selbstständigkeit zu führen.
Doch nun muss man ihnen dringend dabei helfen, den biologischen Preis für das Bewundernswerte zu zahlen. Dieser biologische Preis besteht für die heute im Durchschnitt 53 Jahre alten Opfer des größten deutschen Arzneimittelskandals darin, dass sie unter schwersten körperlichen Verschleißerscheinungen leiden.
Jahrzehntelange Qual rächt sich im Alter
Wer sich jahrzehntelang extrem krümmen musste, um nur ein Glas Wasser zu trinken oder um zu schreiben, wer nie den Kopf mit der Hand abstützen konnte oder statt der Finger die Zähne zum Greifen benutzen musste, hat sich das Skelett, die Muskulatur und das Gebiss ruinieren müssen. Das rächt sich im höheren Alter.
Andreas Meyer, Vorsitzender des Bundes Contergan-Geschädigter: Die Grünenthal-Opfer haben jahrelang gerichtlich versucht, Entschädigungen einzuklagen
Hinzu kommt, dass die wichtigsten Helfer der Kindheit, die Eltern, selbst pflegebedürftig werden und die eigenen Kinder der Contergan-Geschädigten, oft bis an die Grenze des Vertretbaren in die Hilfe eingespannt, aus dem Haus gehen und doch ihr eigenes Leben führen sollen. Überdies haben viele der heute in Deutschland noch lebenden 2400 Geschädigten nur halbtags arbeiten können – manche mussten schon in Frührente gehen –, sodass es um ihre Altersbezüge nicht zum Besten bestellt ist.
Deutlicher Handlungsbedarf
All dies wird in einem von der Politik bestellten Forschungsbericht in schonungsloser Klarheit geschildert, und nachdem der Bundestag somit alle erbetenen Sachinformationen erhalten hat, darf keine Zeit mehr verloren werden, daraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen.
Das Gesetz über die Contergan-Stiftung, in dem die Leistungen für die Opfer geregelt werden, muss schleunigst so geändert werden, dass mehr Unterstützung geleistet werden kann. Bewundern reicht nicht mehr. Jetzt muss immer mehr Hilfe geleistet werden.