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Contergan: Endlich, endlich „Leistungsverbesserungen“ für die Opfer
Aber keine Debatte zum Verursacherprinzip
Von Axel Mayer
Die überlebenden contergangeschädigten Menschen in Deutschland können, nach fast einem halben Jahrhundert Verspätung (!), mit einer deutlichen Aufstockung ihrer Rente rechnen. Bisher bekamen sie weniger als 1200 Euro im Monat, in Zukunft soll das Maximum nun bei 6900 Euro liegen. So sieht es ein Gesetzesentwurf des Bundesfamilienministeriums vor. Endlich, endlich soll es Leistungsverbesserungen für die noch lebenden Opfer geben und die Medien berichten intensiv.
„Das Contergan-Netzwerk ist froh und dankbar, dass die Politik nunmehr so konsequent Leistungsverbesserungen für contergangeschädigte Menschen beschlossen hat und hierfür jährlich 120 Millionen Euro zur Verfügung stellt. (...) Für uns ist das Erreichte aber mehr als nur die Einführung oder Verbesserung einer Leistung. Wir sind geschädigt worden, es wurde ein Bundesgesetz erlassen, womit alle unsere Ansprüche gegen die uns schädigende Firma Grünenthal zum Erlöschen gebracht wurden. Jahrzehnte wurden wir hieraufhin zu den Sozialkassen geschickt. Von uns haben sehr viele nicht mehr an diesen Rechtsstaat geglaubt. Mit diesem nun konsequenten Schritt der Politik können wir nun endlich mit dem Staat unseren Frieden machen.“ schreibt das Netzwerk der Betroffenen in einer Presseerklärung vom 25.2.2013.
Der Contergan-Skandal (aufgedeckt 1961-1962) war der bisher größte Arzneimittelskandal in Deutschland. Er war ein wichtiger Impuls für die beginnende Politisierung der damals eher konservativen Naturschutzbewegung. Durch die schädlichen Nebenwirkungen des Beruhigungsmedikaments Contergan war es zu Schädigungen von bis zu 10 000 Ungeborenen gekommen. Obwohl der Stolberger Herstellerfirma bereits frühzeitig Warnungen über beobachtete Fehlbildungen an Neugeborenen vorlagen, wurde Contergan weiterhin vertrieben.
Am 18. Dezember 1970 wurde das Strafverfahren wegen "geringfügiger Schuld der Angeklagten" und mangelnden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung nach § 153 StPO eingestellt. Die Eltern der Geschädigten waren durch eine "geschickte" Prozessführung gezwungen, mit der Firma Grünenthal einen Vergleich abzuschließen und verzichteten auf Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe gegen einen lächerlichen Entschädigungsbetrag von 100 Millionen Deutsche Mark. Schon im April 1970 war es der Firma gelungen, im Rahmen der Stiftungsgründung und des Stiftungsgesetzes, den Staat (also die SteuerzahlerInnen) in die Pflicht zu nehmen.
Es ist leider typisch: Die Firma Grünenthal zahlte einmal 100 Millionen Deutsche Mark, die SteuerzahlerInnen zahlen jetzt jährlich 120 Millionen Euro. Doch altes Unrecht und das Verursacherzahltfastnichtsprinzip ist in der aktuellen Berichterstattung der Medien leider fast kein Thema. Um es deutlich zu sagen: „Das Geld hätte den Opfern schon viel früher zugestanden und wenn sich gar nichts tut ist es auch sinnvoll, dass der Staat einspringt.“
Dass hinter den jetzigen, notwendigen Zahlungen aber altes, verstörendes Unrecht und ein uralter Justizskandal stehen, sollte doch zumindest Thema in der aktuellen Berichterstattung sein. Das herrschende Grundprinzip der Privatisierung von Gewinnen und der Sozialisierung von Verlusten ist nicht akzeptabel. (PK)
Axel Mayer ist Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND)
Mehr Informationen unter
www.contergannetzwerk.de/
vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/contergan.html