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THEMA: Contergan-Opfer: Wie ein wilder Haufen

Contergan-Opfer: Wie ein wilder Haufen 09 Okt 2012 17:33 #21812

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Contergan-Opfer: Wie ein wilder Haufen

Anlässlich des 55. Jahrestages der Markteinführung von Contergan in Deutschland haben die Betroffenen Stefan Nuding und Gihan Higasi die Möglichkeit eines Hungerstreiks angekündigt. Eine Antwort von Christian G. Knabe


„Contergan-Opfer kündigen Hungerstreik an“, berichtete ROLLINGPLANET vor zwei Tagen und zitierte den Untersuchungsausschuss Conterganverbrechen (U.A.C.): „Wir haben lange genug erklärt, gebeten, bewiesen und gemahnt. Ab heute fordern wir eine sofortige und nachhaltige Verbesserung unserer Lebenssituation, die uns nach Recht und Gesetz zusteht! Notfalls gehen wir auch wieder in einen unbefristeten Hungerstreik, um auf das Unrecht aufmerksam zu machen, das uns angetan wird!” Christian G. Knabe schrieb uns daraufhin: „Zu der Ansicht von Stefan Nuding und Gihan Higasi über 55 Jahre Contergan und der Drohung mit einem erneuten Hungerstreik gibt es auch andere Meinungen.“

Am 1. Oktober 1957 kam das Schlafmittel „Contergan“ mit dem Wirkstoff „Thalidomid“ auf den deutschen Markt. Es hatte verschiedene Nebenwirkungen, von denen eine sehr verheerend war. Alleine in Deutschland kamen bis 1962 zirka 5.000 verkrüppelte Kinder zur Welt, von denen die Hälfte nach der Geburt verstarb. Es war die größte Arzneimitteltragödie in der Geschichte der Menschheit.

Am 14. Mai 1958 fragte der FDP-Abgeordnete Erich Mende die Bundesregierung, was es mit der zunehmenden Zahl von Missgeburten in Deutschland auf sich habe. Damals waren schon einige Opfer geboren. Ihre Mütter hatten die Ärztemuster genommen. Dazu muss man wissen, dass Contergan Behinderungen verursacht, die in der Natur sehr selten sind. Die Contergan-Opfer waren also bereits aufgefallen, obwohl die Zahl der „Missgeburten“ insgesamt abgenommen hatte. Das Eugenik-Programm der Nazis hatte Wirkung gezeigt.

Weil man glaubte, die Atombombenversuche der Amerikaner und der Sowjets könnten die Kinder verkrüppelt haben, entstand ein viel zu langes Schweigen. Es kam später zu einem Prozess, so dass die Katastrophe fast schon zum Mythos wurde. Weil man glaubte, einen Alleinschuldigen zu haben – eine Entschädigung war damals nur über einen Strafprozess möglich, vergaß man das Leid Opfer schnell. Man ernannte sie zu Helden unter den Behinderten: „Was die alles trotz ihrer Behinderung können!“

Als 2007 der Fernsehfilm „Contergan“ gezeigt wurde

So war es lange ruhig, bis 2007 der Fernsehfilm „Contergan“ gezeigt wurde. In der anschließenden Fernsehdiskussion „Hart aber Fair“ am 7. November 2007 in der ARD versuchte ich das Schweigen zwischen der Firma und den Opfern zu brechen, indem ich den Enkel des Firmengründers zu einer Tasse Kaffee einlud. Es wurden zwei Tassen, und die Firma spendete 50 Millionen Euro. Dabei ging es mir nicht ums Geld! Inzwischen gibt es dazu noch eine Härtefall-Beihilfe und die Absicht, eine eigene Stiftung zu gründen.

Endlich, so schien es, wurde man auf die vergessenen Contergan-Opfer aufmerksam. Seit einer Studie der Universität Heidelberg herrscht eine gewisse Ernüchterung vor. Die Schäden durch Contergan sind größer, als damals festgestellt. Die Betroffenen sind auch nicht die „Helden“ unter den Behinderten, sondern viele kämpfen jeden Tag um ihr Dasein.

Dieses Jahr hat sich die Grünenthal GmbH offen für die Tragödie entschuldigt und möchte den (von mir 2007 angestoßenen) Dialog mit den Opfern verstärkt fortsetzen. Ich habe die Hoffnung, dass man sich nun endlich der Bundesregierung zuwendet, denn sie hatte die Verpflichtung übernommen, die Betroffenen zu versorgen. Sie tat dies nur halbherzig und ignorierte lange den Zusatz einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes aus dem Jahr 1976.

Nur noch ein Arzt, der sich auskennt

Statt einer guten medizinischen Versorgung gibt es heute nur einen einzigen Arzt, der sich mit der Materie auskennt. Seit Sommer 2012 gibt es endlich einen ICD-Schlüssel für die Krankenkassenabrechnung. Den haben Friederike Winter aus Karlsruhe und ich beantragt und durchgesetzt. Statt die finanzielle Versorgung auszubauen, beließ man es lange Zeit bei der Conterganrente und im Notfall der Sozialhilfe. Die Betroffenen wurden so entwertet. Da sollten sie eigentlich nicht alleine leben, aber die Sozialhilfe machte es geradezu unmöglich, Partner zu finden, denn sie wären ebenso in die Sozialhilfe abgestiegen. Das versuchten viele zu verhindern, indem sie arbeiteten, was zu einer großen Verschlimmerung der Folgeschäden führte.

Viele denken, dass es da doch den Bundesverband gäbe, der sich für die Opfer einsetzt. Aber das ist ein Irrtum. Der Bundesverband hat jahrzehntelang versucht, das Ausmaß der Tragödie zu vertuschen. Er behauptete zum Beispiel, dass die Betroffenen unter dem Folgeschaden „Arthrose“ litten, dabei handelt es sich öfter, als einem lieb sein kann, um angeborene und durch Contergan verursachte Nervenschäden. Sie altern auch nicht schneller als andere, wie es der Bundesverband behauptet hatte.

Auch die Kampagnen gegen die Grünenthal hatten nur zur Folge, dass das wahre Ausmaß der Tragödie unentdeckt blieb. Man wird alle Betroffenen noch einmal untersuchen müssen, um die wahren Schäden festzustellen.

Der Staat muss viel tun! Er muss eine gute medizinische Versorgung aufbauen. Er muss die Opfer aus Hartz4 herausholen. Er muss die Conterganrente erhöhen, denn sie ist auch eine pauschalierte Beihilfe, die unter anderem die Kosten der Behinderung decken soll. Er muss auch – kurz gesagt: alles, was die Eingliederungshilfe tut – der Stiftung übertragen, damit nicht die Kinder der Opfer für ihre Eltern zahlen müssen, wenn diese Pflege brauchen. Er muss einen Fond für Einzelleistungen auflegen, und er muss sich überlegen, wie er die Zeit überbrückt, bis alles organisiert ist. Eine einmalige Beihilfe wäre obligat. Sie wäre auch so etwas wie ein Schmerzensgeld für 35 Jahre unnötigen Leidens und sollte entsprechend hoch sein.

Contergan-Opfer sollten ihre untätige Führung entlassen

Man kann und darf nicht warten, bis die Contergan-Opfer alle tot sind, bis man endlich Nägel mit Köpfen macht. Bis zum ersten Januar 2013 sollte man die Betroffenen schon aus Hartz4 herausgeholt und die Conterganrente angepasst haben. Bis März könnte die einmalige Beihilfe inklusive Schmerzensgeld ausbezahlt sein. Bis Juli 2013 könnten alle anderen Dinge in die Wege geleitet sein, die zum Teil erst in ein paar Jahren ihre volle Wirkung zeigen werden.

Und die Contergan-Opfer selbst sollten ihre untätige Führung entlassen und sich endlich auf breiter Front für ihre eigenen Belange einsetzen, statt wie ein wilder Haufen zu agieren, der nur auf die Besitzer der Grünenthal los geht, was ja ebenfalls zur Vertuschung der Tragödie beigetragen hat. Man hat die Bunderegierung lange in dem Gauben gelassen, sie bräuchte nichts tun. Irgendjemand hatte den Betroffenen eingeredet, jeder könnte Millionen an Entschädigung bekommen. So mancher Bundestagsabgeordneter hat da die Hände in den Schoß gelegt und nichts getan!

Der Autor ist Bild- und Textjournalist und bildender Künstler. Er lebt in München. Webseite:
www.fotoreport-web.com

Quelle: rollingplanet.net/2012/10/05/contergan-o...e-ein-wilder-haufen/
Liebe Grüße
Bernhard Quiel

Aw: Contergan-Opfer: Wie ein wilder Haufen 09 Okt 2012 17:36 #21813

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Als ich das gelesen habe, dachte ich echt, da flog wohl einer übers Kuckucksnest
Liebe Grüße
Bernhard Quiel
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